IDEE

E N S E M B L E_X im Saalbau.


Ein Kooperationsvorhaben zwischen der Projektfabrik gGmbH und dem Saalbau Witten

Jeder Mensch hat das Recht auf Kunst und Kultur, aber nicht jeder Mensch findet den Weg dorthin. Viele Programme der Kunstvermittlung erreichen nur einen kleinen Teil der Bevölkerung. Ebenso liegt der Prozess der Kunstproduktion und Programmgestaltung häufig in den Händen einer kleinen (elitären) Gruppe von Menschen. Die Sichtbarkeit der aktuellen Sollbruchstellen dieser Tage manifestiert sich dabei nicht erst seit COVID-19 für den Kultursektor in einer Krise der Repräsentation und der Funktion. In einer Gesellschaft, in der das Singuläre dominiert, gilt es nach unserem Erachten das Allgemeine wieder zu verfestigen und damit die Funktion und Rolle von Kunst/Kultur und Kulturinstitutionen auf ihre gesellschaftliche Wirksamkeit hin neu zu denken. Dabei sehen wir uns schon seit längerem mit veränderten Steuerungs-, Produktions-, Nutzungs- und Rezeptionsweisen konfrontiert, innerhalb derer unsere althergebrachten Strukturen und Produktionslogiken nicht mehr greifen. Dies gilt nicht nur, sondern im Besonderen auch für den Bereich der darstellenden Künste. Auch wenn es in den letzten Jahren eine stärkere Öffnung der Theaterstätten mit eigenem Ensemble in die Stadtgesellschaft erkennbar wird, lohnt es sich trotzdem die angestammten Produktionslogiken zu hinterfragen und das Ensemble als Kern jeden Theaters neu zu interpretieren.
Das Ziel ENSEMBLE_X im Saalbau will die Gestaltungshoheit einer Theaterstätte neu definieren, Strukturen traditioneller Machtverhältnisse umkehren und einen Neuanfang initiieren. Die Erschließung neuer Publikumsgruppen (communities) für den Saalbau erfolgt über den Weg der Partizipation einer möglichst diversen Gruppe von Akteuren. Menschen, deren Gestaltungskraft und Bedürfnis nach kultureller Rezeption bisher nicht gesehen wurden. Menschen, die aus ökonomischen, sozialen oder sprachlichen Gründen den vorherrschenden professionellen Kunstanspruch nicht erfüllen wollen oder können. Menschen, die man nicht sieht, nicht hört, mit denen man als gewöhnliche/r Kulturschaffende/r nicht spricht. Sie sind relevante Akteure und erzählen die wirklich spannenden und aufregenden Geschichten. Der Zugang zum Kulturerleben und zum Kulturbetrieb als gesellschaftlicher Ort im klassizistischen Sinne nicht jedem gewährt wird. Daher nehmen wir in diesem Vorhaben das Ensemble als Hebel zur Transformation in den Blick. Doch es geht in diesem Vorhaben nicht nur um den strukturellen Transformationsgedanken. Leitende Frage muss u. E. nach sein:

Sehnen wir uns nicht alle im Moment nach Gemeinschaft, Sinnlichkeit und das Erleben von Welt? Wie kann man dieses Bedürfnis künstlerisch aufgreífen und unterstützen? Das Bedürfnis nach menschlicher Nähe, nach Gesichtern und Emotionen kann durch verschiedene künstlerische Ausdruckformenkanalisiert und transformiert werden. Die community mit ihren partizipativen Ansätzen setzt der kalten Ergebnisorientiertheit professioneller Zusammenkünfte eine Qualität der Wärme entgegen. Unser Projektvorhaben hebt die Idee der Sozialen Plastik von Beuys aus der Fiktion in die Mitte einer Stadt. Es ist ein künstlerischer Prozess direkt in der Gesellschaft und nicht in einem hermetischen Raum. Der Weg An die Stelle erklärender Kunstvermittlung tritt ein Prozess bestehend aus Rezeption, Ko-Produktion und langfristiger Partizipation an der Entwicklung neuer Formen der Programmlogik. ENSEMBLE_X ist ein Experiment der darstellenden Künste in der Stadtgesellschaft und ein Prototyp für die Bespielung fester Häuser ohne eigenes Ensemble. Der Saalbau ist dabei der klassische Archetypus eines Bespieltheaters in einer mittelgroßen Stadt und kann mit seinem Ansatz als eine Blaupause für die Stadthallen bundesweit dienen. Die Entstehung des ENSEMBLE_X folgt einer urkünstlerischen Logik. Der Wahrnehmung von Einseitigkeit der kulturellen Rezeption als Motiv (einseitige Programmgestaltung, schrumpfender, nicht-diverser Publikumskreis, fehlende Themenvielfalt) folgt das Impulsieren potenzieller Akteure durch ein Thema, das Sammeln und Recherchieren von Inhalten. Auf dieser Grundlage entsteht ein künstlerisches Produkt, dass durch seine Strahlkraft wiederum den Rezeptionsprozess in der Stadtgesellschaft in Gang setzt und einen lebendigen Dialog in Gang hält.

Das ENSEMBLE_X wird dauerhaft integraler Bestandteil der Programmatik des Saalbaus und damit Partner in der Neuausrichtung in Bezug auf Programm und Publikum. Das ENSEMBLE_X ist zu verstehen als ein lebendiger Organismus wechselnder Akteure und Themen. Diesem Charakter entspricht ein bewegliches und sich ständig neu erfindendes Selbstverständnis, welches davor bewahrt, in alte Programmatiken zurückzufallen. Das heißt: das Selbstverständnis von uns als Machern und Initiatoren ändert sich. Auch wenn die Angebote des ENSEMBLE_X aus klassischen Formaten entstehen können und es so durchaus in Konkurrenz zum gewohnten Saalbau- Angebot stehen kann, bzw. nicht steht, da die künstlerische Aura des Ensembles eine ganz andere sein wird, sind es doch seine Mitglieder, die Autorenschaft bekommen. Dabei kommt ihm seine Heterogenität zugute.
ENSEMBLE_X wird ein lebendiges Stück Wirklichkeit.

Zukünftig? Im Zuge dieses Experiments wird im Saalbau ein Raum für Potentialentwicklung und neue Denkansätze geöffnet. Mit dem Ziel in Zukunft eine Produktionsstätte für neue hybride und ko-produzierende Formen der Theaterproduktionen zu sein, wird das ENSEMBLE_X der Ausgangspunkt und zukünftige Resonanzraum für die Neuprofilierung sein. Denn: Eine radikale Öffnung hin zur Stadtgesellschaft kann nur über die künstlerische Verhandlung, die auch schmerzhaft sein kann, mit ihr erfolgen.

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